Evaluation der revidierten Erste-Hilfe-Aus- und Fortbildung
Die DGUV Informationen 204-007 und 204-008 beschreiben die Ausbildungsinhalte und allgemeingültigen Maßnahmen in Erster Hilfe. Im Jahr 2015 wurde sowohl die Erste-Hilfe-Ausbildung als auch die -Fortbildung mit jeweils neun Lehreinheiten und praktischen Anteilen neu konzipiert. In einer Evaluation wurden die revidierten Erste-Hilfe-Schulungen nun wissenschaftlich untersucht.
Die Ersthelferausbildung ist eine Grundausbildung, die den Ersthelfer bzw. die Ersthelferin in die Lage versetzt, in der Regel bei allen im Betrieb vorkommenden arbeitsbedingten Verletzungen […] die notwendigen vorläufigen Maßnahmen zu ergreifen“.[1] Die Vermittlung des erforderlichen Wissens und Könnens soll praxisnah und handlungsorientiert erfolgen.[2] Die zu vermittelnden Anwendungen der Ersten Hilfe werden nicht nur dargestellt und besprochen, sondern intensiv geübt. Die Erste-Hilfe-Ausbildung wurde ab dem 1. April 2015 auf neun Lehreinheiten à 45 Minuten gestrafft und der Umfang der regelmäßigen, in Zeitabständen von zwei Jahren erforderlichen Fortbildung auf neun Lehreinheiten (vorher acht) ausgeweitet.[3] Durch die Fortbildung sollen die in der Grundausbildung erworbenen Kompetenzen gesichert werden. Die Erste-Hilfe-Aus- und Fortbildung für Beschäftigte in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder umfasst ebenfalls neun Lehreinheiten und beinhaltet sowohl lebensrettende als auch einfache Maßnahmen für Kinder und Erwachsene. In Deutschland wurden im Jahr 2022 insgesamt 2.145.093 Personen in Erster Hilfe unterwiesen.[4]
Evaluationsauftrag
Die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen haben im Jahr 2020 das Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG) beauftragt, sowohl die Erste-Hilfe-Aus- und ‑Fortbildung als auch das System der Ersten Hilfe in Betrieben und Bildungseinrichtungen zu evaluieren. Das IAG hat in enger Abstimmung mit einem Projektbeirat und mit der Unterstützung aller Unfallversicherungsträger eine Onlinebefragung von betrieblichen Ersthelferinnen und Ersthelfern im Zeitraum vom 14. Januar 2022 bis zum 2. Mai 2022 durchgeführt. Der Kontakt zur Zielgruppe in den Betrieben und Bildungseinrichtungen wurde zum einen direkt über die Unfallversicherungsträger hergestellt, zum anderen wurde über Websites, Zeitschriften oder Newsletter sowie über Anzeigen in Zeitschriften der DGUV speziell im Bildungsbereich für die Befragung geworben.
Zunächst sollte die Evaluation ermitteln,
- ob die Qualität der Aus- und Fortbildung zur Ersten Hilfe gegeben ist und ob die Schulungen wirksam und nachhaltig sind,
- ob die Ersthelferinnen und Ersthelfer mit den neuen Erste-Hilfe-Schulungen zufrieden sind,
- ob sie sich im Notfall sicher und kompetent fühlen, die erforderlichen Erste-Hilfe-Maßnahmen umzusetzen, und inwiefern sie tatsächlich in der Lage sind, die gelernten Erste-Hilfe-Maßnahmen im Notfall anzuwenden.
Weiterhin ging es darum,
- grundlegende Informationen über die Organisation der Ersten Hilfe in Betrieben und Bildungseinrichtungen zu gewinnen sowie
- zu erheben, inwieweit neue technische Systeme und digitale Hilfsmittel der Ersten Hilfe in den Betrieben vorhanden sind.
Stichprobe
An der Umfrage haben sich 16.499 Personen beteiligt. Nach einer Datenbereinigung bilden 15.173 Personen die Gesamtstichprobe, die wiederum in eine Stichprobe für den betrieblichen Bereich (N = 14.289) und eine für den Bereich der Bildungs- und Betreuungseinrichtungen (N = 649) aufgeteilt wurde.[5]
Verteilung in den Stichproben
Stichprobe des betrieblichen Bereichs:
- Geschlecht: 58 Prozent männlich, rund 42 Prozent weiblich, 0,2 Prozent divers
- Alter: 35 Prozent 50 bis 59 Jahre, 26 Prozent 40 bis 49 Jahre und 21 Prozent 30 bis 39 Jahre; jeweils neun Prozent 18 bis 29 Jahre sowie 60 Jahre und älter
- Branche: etwa 39 Prozent Dienstleistung/Verwaltung, produzierendes Gewerbe rund 24 Prozent
- Betriebsgröße: 24 Prozent Kleinst- und Kleinunternehmen, 32 Prozent mittelgroße Unternehmen und 44 Prozent Großunternehmen
Stichprobe des Bildungsbereichs:
- Geschlecht: etwa 79 Prozent weiblich, rund 21 Prozent männlich, 0,2 Prozent divers
- Alter: ähnlich wie im betrieblichen Bereich
- Einrichtung: 45 Prozent Kindertagesstätte, 21 Prozent Grundschule, 24 Prozent weiterführende Schule
- Größe der Einrichtung: 13 Prozent bis neun Beschäftigte, 60 Prozent zehn bis 49 Beschäftigte, 19 Prozent 50 bis 249 Beschäftigte, acht Prozent mehr als 250 Personen
Ergebnisse
Die Teilnehmenden der Umfrage fühlen sich mit jeweils neun Lehreinheiten überwiegend gut aufgestellt. Wie in Abbildung 1 dargestellt, wird der Besuch eines Erste-Hilfe-Kurses nach Aussage der Befragten in der Regel als eine Kompetenzerweiterung angesehen – unabhängig davon, ob der letzte Kurs, den sie besucht haben, eine Grundausbildung oder Fortbildung war. Der Großteil der Stichprobe (73 Prozent) hatte zuletzt an einer Fortbildung zur Ersten Hilfe teilgenommen.
Aus der Befragung wurde zudem deutlich, dass, wer einmal die Aufgabe als betriebliche Ersthelferin oder betrieblicher Ersthelfer übernommen hat, diese häufig über einen längeren Zeitraum ausübt. Dies gibt den Betrieben und Einrichtungen Kontinuität. Der hohe Anteil derer, die schon mehrere Fortbildungen absolviert haben, weist darauf hin, dass die Bereitschaft zur wiederholten Fortbildung hoch zu sein scheint, genau wie der Wunsch, sich zu spezialisieren. Bereits jetzt ist es möglich, in den Fortbildungen gezielt Schwerpunkte nach dem branchen- und betriebsspezifischen Bedarf der Teilnehmenden zu setzen. In der Befragung wurden die Kurse besser bewertet, bei denen es sich um eine Fortbildung handelte. In geeigneten Unternehmen ist es aus fachlichen und organisatorischen Gründen dazu empfehlenswert, betriebsinterne Erste-Hilfe-Schulungen durchführen zu lassen.
Im Großen und Ganzen empfanden die Befragten den zuletzt besuchten Kurs als qualitativ hochwertig. Das zeigen die Bewertungen in Bezug auf Inhalt und Methodik (Abbildung 2; Mittelwerte zwischen 4,3 und 4,8 auf einer fünfstufigen Skala), Lernerfolg und Kompetenz (Abbildung 1) sowie Nutzen der Kurse (Abbildung 3). Eine Qualitätskontrolle der Schulungen bleibt dennoch wichtig. Des Weiteren ist die globale Zufriedenheit der Befragten mit den Kursen mit einer Zustimmung von etwa 90 Prozent in beiden Teilstichproben mehrheitlich hoch. Befragte aus Bildungseinrichtungen sind mit den Schulungen tendenziell zufriedener, wenn diese schwerpunktmäßig die Erste Hilfe am Kind beinhalteten. Zudem wurden die Kurse allgemein besser bewertet, die im Zeitraum von 2020 bis 2022 stattfanden. Ausnahmen stellten hier die Fragen zu den praktischen Übungen dar, die aufgrund der Hygienevorschriften durch die Coronapandemie nicht oder nur eingeschränkt durchgeführt werden konnten. Umfangreiches Üben im Kurs erhöht das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, im Notfall wirklich helfen zu können, und wird daher aus Sicht der Befragten als eine wesentliche Voraussetzung für die Anwendung der theoretischen Kenntnisse eingeschätzt.
Das Wissen und die selbst eingeschätzte Kompetenz, helfen zu können, bezieht sich überwiegend auf leichte Verletzungen so wie auf die grundsätzlichen Handlungen bei einem Notfall, wie die Kontrolle von Atmung und Bewusstsein oder stabile Seitenlage. Ähnliches gilt für Erste-Hilfe-Maßnahmen, die die befragten Ersthelferinnen und Ersthelfer laut eigener Aussage häufiger bei kleineren Unfällen oder gesundheitlichen Vorfällen durchgeführt haben – im Bildungsbereich häufiger als im betrieblichen Bereich. Die am häufigsten durchgeführten Maßnahmen waren die Versorgung von Nasenbluten, Verstauchungen/Prellungen, die Kontaktaufnahme und Beruhigung einer verletzten Person sowie die Versorgung von Insekten- und Zeckenstichen. Befragte im Bildungsbereich haben zusätzlich vor allem kleinere Wunden behandelt, Hilfestellung beim Erbrechen geleistet sowie akute Kinderkrankheiten erstversorgt. Die Durchführung von Erste-Hilfe-Maßnahmen bei schweren und sogar lebensbedrohlichen Verletzungen wurde im betrieblichen wie im Bildungsbereich seltener durchgeführt und sich auch weniger zugetraut.
Bei schweren Verletzungen muss die verunfallte Person ärztlich weiterbehandelt und in manchen Fällen sofort medizinisch versorgt werden. Die meisten Befragten (92 Prozent) sind davon überzeugt, im Kurs gelernt zu haben, in welchen Fällen sie den Rettungsdienst alarmieren müssen. Inwiefern Ersthelferinnen und Ersthelfer den Notruf betätigen aus Sorge, etwas falsch zu machen, war für die meisten Befragten im Allgemeinen schwerer zu beantworten, da dies stark situationsabhängig ist. Personen, die bislang nur die Ausbildung absolviert haben, sowie Ersthelfende in Kindertagesstätten gaben etwas häufiger an, bei Unsicherheit lieber den Notruf zu wählen.
Etwa die Hälfte der Stichprobe aus dem betrieblichen Bereich hat schon einmal Erste Hilfe geleistet. Im Bildungsbereich traf dies sogar auf drei von vier Befragten zu. Ein hoher Anteil derer mit mindestens einem Erste-Hilfe-Einsatz gab zudem an, Erste Hilfe auch im privaten Kontext (66 Prozent) oder öffentlichen Bereich (29 Prozent), also außerhalb des Arbeitsplatzes, geleistet zu haben (Abbildung 4). Erste Hilfe und die damit verbundenen Kurskosten, die von den Unfallversicherungsträgern übernommen werden, stellen somit auch einen gesellschaftlichen Beitrag dar. Erste Hilfe kann nicht losgelöst zwischen privater und beruflicher Ebene betrachtet werden. Die Pflicht, Bereitschaft, Verantwortung und Kompetenz, Erste Hilfe auszuüben, hören für die Befragten nicht im beruflichen Bereich auf.
Die Fragen zur Organisation der Ersten Hilfe in Unternehmen und Einrichtungen müssen vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass sich diese in der Verantwortung der Unternehmens- und Einrichtungsleitungen befindet. Die Ersthelferinnen und Ersthelfer konnten nur in begrenztem Ausmaß Aussagen dazu treffen. Der Anteil der „Weiß nicht“-Antworten war bei diesen Aspekten relativ hoch. Es zeigte sich zudem, dass sowohl in größeren Betrieben als auch in der Branche Produktion/Industrie die Erste Hilfe offenbar besser organisiert ist und regelmäßig Unterweisungen zur Ersten Hilfe im Betrieb stattfinden. Erste-Hilfe-Material und Hilfen zur Dokumentation (Meldeblock) sind jedoch in der überwiegenden Anzahl der Betriebe und Einrichtungen vorhanden (86 bis 97 Prozent). Die Digitalisierung hat laut Aussage der Befragten noch keinen großen Einzug in die betriebliche Erste Hilfe gehalten. Mit Ausnahme eines Automatisierten Externen Defibrillators (AED), der in den meisten Betrieben (83 Prozent) – jedoch kaum in Kindertagesstätten oder Grundschulen – vorhanden ist, sind technische Hilfen, Software, Apps oder elektronische Meldesysteme bislang nur in geringem Ausmaß in Betrieben und Bildungseinrichtungen zu finden.
Bewertung und Ausblick
Die Befragungsergebnisse von etwa 15.000 Ersthelferinnen und Ersthelfern aus Betrieben sämtlicher Branchen und Betriebsgrößen sowie aus kleinen bis großen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zeigen, dass sich die Neuausrichtung der Aus- und Fortbildung seit 2015 grundsätzlich bewährt hat.
Von den im Evaluationskonzept formulierten Fragestellungen ist zum einen offengeblieben, inwiefern die Selbsteinschätzung der Befragten zur eigenen Kompetenz, in einem Notfall helfen zu können, mit dem tatsächlichen Handeln übereinstimmt. Zum anderen bleibt unklar, welche Faktoren, wie zum Beispiel emotionale, motivationale oder solche, die in der Situation begründet liegen, für die Ausübung einer effektiven Ersten Hilfe jeweils förderlich oder hinderlich sind. Die Ergebnisse liefern zudem nur begrenzte Hinweise, ob das System der Ersten Hilfe in den Betrieben und Einrichtungen sowie generell in Deutschland, wie es derzeit praktiziert wird, das effektivste und effizienteste System ist, welche Optimierungsmöglichkeiten hier bestehen sowie ob und welche alternativen Modelle denkbar und umsetzbar sind.